Streetphotography

Vielleicht ist es das, was der Politik heute fehlt: Einfach mal auf die Strasse zu gehen, zu flanieren, Menschen zu begegnen, mal 20 Minuten vor Langeweile in einem U-Bahn Waggon den Blick schweifen zu lassen, um dann plötzlich Dinge, Menschen und Zustände zu entdecken, die einem im Alltäglichen nicht mehr auffallen, aber von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind.

Streetphotography. Vielleicht wäre daher dieses Genre aus der großen Bandbreite der Fotografie eine gute Empfehlung an die heutige Politik. Strassenfotografie. Ein bisschen klingt es immer wie Strassenköter und entbehrt daher auch den Glanz, den Fotografie gerne vor sich herträgt. Dabei geht es in Wirklichkeit nicht um die Strasse. Die Strasse ist nur die Bühne, die Menschen sind die Akteure und die Stadt bildet eine eindrucksvolle Kulisse. Das Schauspiel kann zu jeder Zeit beginnen. Am Tage wie auch Nachts. Was die Fotografin oder der Fotograf nur tun muss: er muss auf die Strasse gehen und wird Zeuge einer Wirklichkeit, die im Allgemeinen als öffentliches Leben bezeichnet wird. Man kommt als Streetphotographer dabei nicht umhin politisch zu sein, da man immer auch die gesellschaftlichen Widersprüche mit einfängt und – ob nun gewollt oder nicht – mit seinen Bildern transportiert.

Strassenfotografie kann dabei eine virtuose Kulmination fast aller Genres der Fotografie bedeuten: Architektur-, Mode-, Landschafts-, Stil- und Portraitfotografie. Sogar die Tierfotografie findet ihre Entsprechung, wie Elliott Erwitt witzig bewiesen hat. Somit ist eine Fotografie der Strasse auch immer ein Spiegelbild der Gesellschaft in der jeweiligen Zeit mit den entsprechenden Protagonisten.

Wie so viele Dinge ist das Genre der Strassenfotografie einer technischen Entwicklung geschuldet: der Konstruktion von kleinen, schnellen Kameras in den 30er Jahren des 20ten Jahrhunderts. Nur so war man in der Lage die für die Bildkomposition und deren Aussagekraft so wichtige Verdichtung der verschiedensten parallel verlaufenden Stränge des gesellschaftlichen Lebens in der sprichwörtlichen Hundertstel Sekunde in einem Bild einzufangen. Doch ohne die nötige soziale Kompetenz sich im Strom der Akteure auf den Strassen, Hinterhöfen und U-Bahnen zu bewegen, bleibt Strassenfotografie nichts als Geknipse. Jedem guten Bild geht dabei das grundlegende Interesse am gesellschaftlichen Leben voraus – idealer Weise auch die Auseinandersetzung damit. Das dringende Bedürfnis nach dem Verstehen des Lebens ist der Motor für dieses Genre der Fotografie, das macht dieses auch so einzigartig und politisch.

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