Interview mit Johannes Erler

#LEBECK #STERN #WICHMANN #INTERVIEW #ERLER
Am 21. März diesen Jahres wird der geschätzte Kollege Robert Lebeck 85 Jahre alt. Durchaus ein Anlass zu gratulieren !!!  Der Jubilar – einer der wichtigsten Fotoreporter Deutschlands – wird entsprechend mit einer Ausstellung bedacht. Titel: “Robert Lebeck: In die Welt.” Veranstaltet von der Flo Peters Gallery und vom Magazin Stern. Mit einem schön formulierten Text in der Einladungskarte zur Eröffnung, werden wir neugierig gemacht: “Wenn er auf Reisen ging, fuhren wir mit. Was er sah, sollten auch wir sehen. Robert Lebecks Augen blickten, forschten, fragten und amüsierten sich für uns. Aus Büchern lernten wir die Welt, in Robert Lebecks Bildern erlebten wir sie.” Unterschrieben ist die Einladung von der Galerie Eignerin Flo Peters, von Dominik Wichmann (Stern Chefredakteur) und Johannes Erler (Stern Artdirektor). Es werden wohl sehr viele Menschen zur Eröffnung am 20. März kommen – auch die Kollegen und Kolleginnen aus der Stern Redaktion, denn hier werden sie nochmals in Robert Lebecks Bildern erleben können, wie es ist, für gute Zeitschriften zu arbeiten. Ein “Wenn er auf Reisen ging, fuhren wir mit. Was er sah, sollten auch wir sehen” wird es wohl so beim Stern nicht mehr geben. Wie mehrere Angestellte aus dem Verlag berichten, seien auf Anweisung der Stern Chefredaktion bis auf weiteres alle aufwändigen und etwas zeitloseren Produktionen von Fotografie und Textgeschichten gestoppt worden. Da werden nicht nur bei den Fotografen und FotografInnen die Alarmglocken schrillen, denn wenn weniger produziert wird, braucht es auch nicht mehr so viele Arbeiter und ArbeiterInnen – also Menschen in der Redaktion.

Dabei hat sich erst vor ziemlich genau einem Jahr der Stern samt Chefredaktion einem Relaunch unterzogen und zum Start des neu strukturierten und gestalteten Magazins eine Werbekampagne veröffentlicht mit dem Slogan:  “Sorry Henri Nannen, es musste sein.” Damals fand ich es noch merkwürdig, dass sich eine Redaktion für ihre Arbeit, die sie ja vermutlich selbst gut findet, öffentlich entschuldigt. Heute, wenn man die aktuellen Ausgaben des Sterns liest, versteht man diesen Slogan besser. Die Kosten für diese Kampagne beliefen sich auf 25 Millionen Euro.

Bei der Eröffnung der Lebeck Ausstellung wird auch der Art-Direktor des Stern, Johannes Erler, sprechen. Wer diesen noch nicht kennt, hat hier die Möglichkeit ein Interview mit ihm zu lesen, welches Anna Gripp und ich mit ihm führten. Dabei ging es um die Erwartungen und Aussichten für den neuen Stern und seine Fotografie. Das Interview erschien im April 2013 in der Photonews.

Wir leben heute in einer Zeit des Informationsoverkills. Bilder sind ein großer Teil dieses Overkills. Haben wir eine Umkehrung der Verhältnisse und sind heute vielleicht 1000 Worte mehr als 1 Bild?
Johannes Erler: Das ist mir zu plakativ und pauschal, auch in der Umkehrung. Ich denke, dass das gute Bild heute eine andere Funktion hat. Innerhalb dieses Overkills an Bildern, die aus verschiedenen Winkeln immer dasselbe zeigen, gibt es einige herausragende, die mehr zeigen. Genau die muss man suchen.

Können Sie die andere Funktion der Bilder für den stern beschreiben?
Die Verfügbarkeit von Neuigkeiten an allen Orten auf  allen Kanälen ist offensichtlich. Wenn Journalismus in Zukunft eine Rolle spielen soll, dann geht es um die Veredelung von News. Es gilt also, eine Neuigkeit so weiter zu drehen, dass sie wieder einen Wert bekommt. Wir versuchen das auf die spezielle Art und Weise des stern.

Die da wäre?
Der stern ist emotionaler als seine Wettbewerber. Der stern versucht, näher an die Geschichten heranzukommen. Der stern ist farbiger, emotionaler, näher am Alltag der Menschen.. Der Slogan des stern ist jetzt nicht mehr „Der stern bewegt“, sondern „Was uns bewegt“. Wir haben diesen alten Slogan aufgenommen, aber ein Stück weiter gedreht. Als Selbstverständnis der Redaktion und als Schulterschluss mit den Lesern. Grundsätzlich ist jedes Thema für den stern interessant, aber bewegt sein und bewegen wollen impliziert von vornherein ein hohes Maß an Emotionalität. Um das besser beschreiben zu können, haben wir drei Begriffe gefunden, die jedes für sich genommen noch nicht aussagekräftig sind, aber in der Kombination funktionieren. Das eine ist »emphatisch« – hier ist der Bauch sehr stark. Das zweite ist »kritisch« – also  die richtigen Fragen stellen. Das Dritte ist »zuversichtlich« –  d.h. den Leser am Ende nicht mit einer unreflektierten Neuigkeit allein zu lassen, sondern ihm eine Einordnung, vielleicht auch einen Ausweg aus der Situation verschaffen.

Wir würden gerne auf die Fotografie zurückkommen.
Das war aber wichtig, um einmal grundsätzlich zu erklären, worauf wir hinaus wollen. Wir machen das im Text und im Bild.

Was genau ist die neue Funktion von Bildern im stern Ihrer Meinung nach? Welche Anforderungen werden an ein Bild gestellt?
Im Sinne dessen, was ich gerade gesagt habe: einordnen, verstehen, begreifen. Also eine Nachvollziehbarkeit dessen, was auf dem Foto passiert. Und wir reden ja nicht nur von News-Bildern, sondern von der ganzen Bandbreite an Bildern, die wir im stern haben. Einen eher emotionalen Angang an die jeweilige Geschichte aus der Lebenswelt des Lesers heraus möglich machen. Abständigkeit im Sinne von Stilisierung und Ästhetisierung vermeiden.

In den letzten Jahren ist auch im stern eine Fotografie aufgetaucht, über die der stern-Fotograf Volker Hinz stets „not amused“ war: ein bisschen neue deutsche Welle, oft blass und inszeniert.
Von dieser Art der Stilisierung, von einer Art Autorenfotografie also, die mehr mit dem Fotografen und weniger mit dem Sujet zu tun hat, versuchen wir wegzukommen.

Aber ist nicht manchmal eine weniger direkt erzählende Fotografie, eine Fotografie, die gegen den Strich arbeitet eher in der Lage, eine Meta-Ebene mit einzubauen, die Sie ja auch haben wollen?
Ich kann das an einem Beispiel erklären: Foodfotografie im stern war in den 80er-90er Jahren stark von Hans Hansen geprägt. Er hatte eine Art von Fotografie etabliert, die das Sujet überstilisierte, überästhetisierte. Eigentlich hat er Objekte fotografiert, weniger Essen. Ich mag diese Bilder sehr, aber das meinte ich mit Abständigkeit, das versuchen wir jetzt zu vermeiden. Wir wollen hin zu einer Foodfotografie, die ein hohes Maß an Identifikation und Genuss möglich macht. Das ist ein schmaler Grad, denn es gibt auch diese Art von »neuer Authentizität«, wo unter jedem Topf und Schüsselchen immer noch ein Tuch liegt, um möglichst natürlich zu erscheinen, aber das ist auch falsch, das wirkt nicht ehrlich. Wir  wollen eine Ehrlichkeit, eine Nachvollziehbarkeit  erzeugen, die das Gericht so zeigt, dass man direkt reinbeißen möchte. Quasi das Perfekte im Unperfekten.

Lassen Sie uns nochmals zurückkommen zu der journalistisch-dokumentarischen Fotografie, für die der stern vor allem steht. Wenn man bedenkt, dass heutzutage jeder weiß, wie die Welt aussieht, was die Probleme dieser Welt sind, selbst an den entlegendsten Orten – welche Aufgabe und Möglichkeiten  hat dann noch der Fotoreporter?
Wie gesagt: Es ist der besondere Blick auf das Sujet, der uns interessiert.

Also doch Autorenschaft?
Natürlich Autorenschaft, aber in dem Sinne, dass der persönliche Blick auf das Sujet am Ende zu einem Bild führt, das ich so noch nicht gesehen habe, nicht im Sinne eine ästhetischen Konzeptes.
Wir haben das Projekt „stern junge Fotografie“ gestartet. Wir haben diesem Jahr zwei Nachwuchsfotografen als Stipendiaten bei uns, der erste startet im Mai, der zweite im Herbst. Aus über 120 Bewerbern wurden Franz Bischof und Philipp Spalek ausgewählt. Unter den Bewerbungen gab es einige, die immer noch zu diesem Label ‘Neue Deutsche Fotografie’ passen. Ich war erstaunt, wie sehr die sich eines bestimmten Stils angenommen hatten. Kühl fotografiert, die immer gleichen Hintergründe, der strikte Bildaufbau, sehr gerade, sehr konzeptionell. Das suche ich aber nicht. Ich glaube, dass der sehr persönliche Blick auf das Sujet, der besondere Ausschnitt – übrigens in der klassischen Manier, mit der der stern in den 70er und 80er Jahr sehr erfolgreich war – für uns viel wichtiger sein wird.

Warum denken Sie, ist das heute der richtige Weg, um etwas bei dem Betrachter, bei der Betrachterin zu bewirken?
Ich möchte, dass jemand ein Bild aufrichtig liebt oder eben auch ablehnt. Ich möchte eine unmittelbare Reaktion herstellen. Niemand soll das Gefühl haben: »ah, noch ein Bild…« Und dafür muss ein Bild schon eine klare Botschaft haben.

Klar im Sinne von klar oder im Sinne von einfach?
Im Sinne von klar.

Vorhin sagten Sie, die Bilder sollen schnell lesbar sein. Ich würde heute eher die These vertreten: wir brauchen in den Bildern auch Stolpersteine. Eben weil wir wissen, wie die Welt aussieht, muss es etwas  geben, was das Bild für mich lesenswert macht.
Das genau ist für mich der Unterschied zu »einfach«. »Einfach« würde ich als simpel bezeichnen, als der direkte Faustschlag. »Klar« heißt für mich, dass ich  etwas entdecken kann, dass das Bild eine Aussage hat.

Und Bilder, die ein Fragezeichen auslösen?
Dagegen habe ich nichts. Ein Fragezeichen kann ja auch eine Reaktion sein. Aber überhaupt eine Reaktion auszulösen, das ist das Wesentliche. Die Einstiegsfrage war, welche Bilder aus der Bilderflut überhaupt noch herausragen. Das sind demnach die, die eine direkte Reaktion auslösen, so dass ich an ihnen hängen bleibe. Ob sie mir dann sofort alles liefern, was ich wissen muss, oder ob sie vielleicht erst mal ein Fragezeichen erzeugen, das mich dazu bringt, mich mit der Geschichte weiter zu befassen, sei dahingestellt.

Heißt denn all das auch, dass die Bilder einen anderen Raum im stern bekommen, vielleicht weniger Bilder, dafür aber größer?
Es wird insgesamt mehr Bilder geben. Wir haben im stern jetzt wieder eine feste Fotostrecke, in jedem Heft an derselben Stelle. Das nennen wir »stern-Fotografie«, da stellen wir Fotografen vor. Außerdem wird einen großen Reportageplatz geben und viele kleinere Rubriken auf einer Seite oder einer Doppelseite, in denen das Bild eine wesentliche Rolle spielt.
Momentan haben wir ja vorne im Heft die fünf „Bilder der Woche“. Die sind sehr beliebt bei den Lesern, aber es werden hier in Zukunft nur noch vier Bilder sein. Wir haben dafür an drei anderen Stellen im Heft Platz für ähnlich große Bilder geschaffen, mit denen wir versuchen, kleine Geschichten zu erzählen. Und es gibt mehr Rubriken, in denen Menschen im Mittelpunkt stehen, in denen wir also  Porträtfotografie zeigen werden.

Was bedeuten diese Veränderungen für die Bildredaktion? Ziehen die Bildredakteure da alle mit?
(lacht) Also, die ziehen alle mit, das kann ich schon sagen. Aber es wird einiges neu sein in der Bildredaktion. Wir finden gerade gemeinsam diesen neuen stern-„Bildsound“. Wir vermeiden bewusst das Wort „Bildsprache“, das finden wir zu einschränkend. Gemeint ist ja nicht eine ganz bestimmte Art von Bild, sondern eher ein Bildsound. Das gab es so im stern in den letzten Jahren nicht. Früher, als der stern noch viele eigene Fotografen hatte, sind die natürlich aus ihrem tiefen Verständnis des stern heraus mit den Reportern losgefahren und haben gemeinsam Geschichten abgeliefert haben, die ganz dem stern entsprachen. Und zwar, obwohl jeder Fotograf auch seine eigene Handschrift hatte. Als diese stern-Fotografen dann immer weniger wurden – zum Schluss ging 2012 Volker Hinz – mussten die Bildredakteure diese Arbeit, einen stern-Bildsound zu erzeugen, übernehmen und an die externen Fotografen briefen. Bildredakteure wurden quasi zu Kuratoren. Deswegen ist der einheitliche Sound verloren gegangen. Das versuchen wir jetzt wieder zu ändern. Alle Bildredakteure müssen unsere gemeinsame Idee der stern-Identität so verinnerlicht haben, dass wir mit einer Stimme reden können. Das hört sich zunächst sehr einschränkend an, aber das ist immer noch ein enorm weites Feld an Möglichkeiten, dass sich da jedem Bildredakteur bietet. In dem Zusammenhang spielt das Briefing eine ganz wichtige Rolle. Wie erreicht das, was der stern sein soll, den Fotografen so, dass der weiß, was zu tun ist, ohne sich eingeschränkt zu fühlen? Ich will den Fotografen ja als Partner, nicht als Dienstleister.

Was sind denn die Erwartungen an Fotografen, die für den neuen stern arbeiten?
Sie sollen zu uns passen, ohne ihre eigene Identität aufzugeben. Es gibt viele tolle Fotografen, die das können. Aber ich kann von einem Fotografen natürlich schlecht verlangen, dass er sofort das richtige Bild liefert, ohne zu wissen, was der stern ist. Denn der arbeitet heute für den stern, morgen für ein Kundenmagazin und übermorgen für sich selbst. Und das ist es dann eben auch, was die Bildredakteure neben dem konkreten Thema an die Fotografen herantragen müssen.

Gibt es da dann vielleicht auch eine Art CI-Manual?
Nein, bestimmt nicht. Es geht hier ja nicht um eine Unternehmens-Corporate Identity, bei der dann nur noch ein bestimmter Stil von Fotografie dabei raus kommt. Uns geht es um Identität, um Charakter, um Haltung. Und wie man das vermitteln kann. Wir möchten mit Fotografen ins Gespräch kommen und mehr Identifikation möglich machen.

Bedingt das auch eine engere Zusammenarbeit mit Fotografen?
Die werde ich auf jeden Fall herstellen. Unser neues Redaktionskonzept, das an vielen Stellen auf viel mehr Selbstverantwortung fußt, verschafft der Art-Direction, also mir uns den Bild- und Grafikchefs, endlich mehr Zeit, sich wieder intensiver mit Fotografie beschäftigen zu können und näher an die Fotografen heranzurücken. Ich möchte,  dass da echte Beziehungen entstehen können. Das ist wahnsinnig wichtig und im Grunde meine ureigenste Aufgabe.

Also können sich Fotografen und Fotografinnen auch bei Ihnen vorstellen?
Definitiv! Ich bin wirklich total neugierig. Ich lerne wahnsinnig gern Leute kennen und bin ganz unvoreingenommen, was Stile oder eine bestimmte Art von Fotografie betrifft. Ich bin da für alles offen und will nichts ausschließen, wenn es grundsätzlich zum stern passt. Und wenn es mich bewegt! Ich freue mich über jeden, der sich bei mir meldet. Ich bin fast schon ein bisschen verwundert über die Scheu, mit der mir Fotografen bisher begegnen. Ich bin doch auf Fotografie so unmittelbar angewiesen!

Ein ganz anderes Thema: Wir sprachen bisher vor allem vom Printmagazin stern. Inwieweit gilt das Genannte auch für Online und Multimedia?
Die Online-Redaktion wird im Sommer vollkommen in der Stern-Redaktion aufgehen. Konkret heißt das, dass die Online-Redakteure in die Ressorts bzw. in die  Textteams einrücken. Das gleiche gilt für die Online-Bildredaktion, die in der gemeinsamen stern-Bildredaktion aufgehen wird. Da können dann beide Seiten voneinander lernen.

Als Resümee: Versuchen Sie bitte in drei Sätzen zu sagen, was das wirklich Neue für die journalistische Fotografie im neuen stern sein wird.
Ein stern-Leser ist ja jemand, der mitdenkt, der sich einbringt. stern-Leser sind Leute, die sich engagieren, die gern diskutieren. Denen die Welt also nicht egal ist. Für solche Menschen machen wir den stern mit seinen Bildern und Texten. Und so wird er dann auch aussehen.

Das Copyright des Bilder mit Romy Schneider liegt bei Robert Lebeck. Das Interview mit Johannes Erler wurde in der Photonews, April 2013 veröffentlicht.

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