Schnipsel 06 | 2014

W E R  I S T  D E R  G E W I N N E R ? – Der Fotograf (Bonnie Cheung) oder Photoshop? Diese Frage wurde mir gestellt, als ich vor kurzem die Shortlist der Sony World Photography Awards postete. Um es anders herum zu sagen: Der Verlierer ist die Fotografie – zumindest die Dokumentarfotografie. Man muss sich schon fragen, wie eine Jury eines Wettbewerbs – neben dem World Press Award wohl eines der größten Wettbewerbe – allen Ernstes solch ein Bild nominieren kann. Aber man könnte von einem Trend sprechen, Fotografien mittels Photoshop nicht mehr wie Fotografien aussehen zu lassen, sondern wie ein Gemälde, hergestellt in Airbrush-Technik. Das Siegerbild der World Press Awards des letzten Jahres von Paul Hansen hatte eine ähnliche Tendenz und da es sich um einen Wettbewerb für journalistische / dokumentarische Fotografie handelt, war die Diskussion groß. Ich verweise hier auf einen viel beachteten Artikel auf dem Blog “No Caption Needed”, der diese Art von Bildern als Filmposter bezeichnet und sehr schön herleitet, warum dem so ist. Am 14. Februar 2014 werden die GewinnerInnen des World Press Awards verkündet, man darf gespannt sein, welcher Film dann Premiere hat.


Es stellt sich aber auch die Frage, warum FotografInnen nicht mehr ihren eigenen Bildern vertrauen, sondern sich einer Künstlichkeit anmutenden Ästhetik bedienen, die ihren Bildern das Direkte, das Unzulängliche, das Zufällige austreibt, was ja auch Wesenszüge von Fotografie sind. Könnte es sein, dass in diesen Fällen die Technik (Hardware & Software) die FotografInnen verführen und dass unbewusst diese Technik die Regie übernommen hat, weil man innerlich hofft eher mit diesen Stilmitteln Preise gewinnen zu können, als mit guter Fotografie? Wie schon gesagt: der Verlierer dabei ist die journalistische Fotografie, die dahin gehend verkommt, dass sie nur noch ästhetische Oberfläche ist – l’art pour l’art.

U N D E R  3 5  Y E A R S * – ist ein Zusatz, der die meisten “Preisausschreiben” für Fotografie-Wettbewerbe oder Stipendien begleitet. Und ich frage mich: Was haben denn all diese Institutionen und Vereinigungen gegen FotografInnen, die älter sind als 35 Jahre. Ich weiß, wie wichtig Preise und Auszeichnungen für junge FotografInnen sein können, da es eine der wenigen Möglichkeiten heute bietet, mit guter Fotografie etwas Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in den Bildredaktionen zu erhaschen. Trotzdem ! dieser Jugendwahn, der  FotografInnen über 35 wie alte Säcke aussehen lässt, ist merkwürdig und altersdiskriminierend. Über die Hintergründe kann ich nur mutmaßen. Einer könnte die Gleichung sein:

jung = neu = talentiert = dankbar = formbar  = billig(er) = erfolgreich = …

Mal im Ernst: das Problem der Altersdiskriminierung im Fotojournalismus existiert, auch wenn keiner offen darüber spricht. Und wenn doch, gilt man gleich als noch älter, als man schon ist und/oder als larmoyant. Ein Bildredakteur der Redaktion des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL, den ich auf diese Problematik mal ansprach, bestätigte das mit den sinngemäßen Worten: Es gäbe eine biologische Grenze für Fotografen in diesem Geschäft. Mit 45 Jahren sollte man anfangen über eine Exitstrategie nachzudenken. Ein Grund in diesem Kontext ist bestimmt die Tatsache, dass die BildredakteurInnen der Verlage jünger geworden sind und “eigene” FotografInnen mitbringen und jüngere BildredakteurInnen arbeiten vielleicht auch nicht so gerne mit älteren FotografInnen zusammen, da ein/e FotografIn mit 30 Jahren Berufserfahrung eine Art Bedrohung für jemanden darstellt, der erst seit ein paar Jahren in diesem Feld unterwegs ist. Gebildete FotografInnen, die schon lange ihren Beruf ausüben, wissen einfach mehr über Fotografie, als jemand, der sagen wir mal 20 Jahre jünger ist. Das ist normal. Dass diese Erfahrung aber nicht abgerufen wird, ist leider auch normal.

Normal ist auch, dass junge FotografInnen ihre vielleicht fehlenden Erfahrungen mit Engagement wett machen und nach dem Motto “Live hard, die young” ihr Bestes und mehr geben – im Zweifelsfall auch für wenig Geld – in der Hoffnung, diesmal vielleicht den Hit zu landen, der einen Durchbruch bedeuten könnte. Das haben sowohl ich als auch viele meiner KollegInnen am Beginn ihrer Karrieren ebenso gemacht. Das Problem ist aber, dass man eben nicht auf lange Sicht UNDER 35 bleibt und irgendwann das WG-Zimmer mit Matratze und das stets flexible Vagabundenleben gegen mehr Bequemlichkeit und familiären Alltag tauschen möchte. Kurz: die Verantwortung und die Ansprüche steigen mit dem Alter. Das Beste gibt es ab dann nur noch gegen die beste Bezahlung, die heute eher schlechter geworden ist. Männliche Fotografen mit Familie halten dieses Dilemma meist etwas länger – oder sagen wir mal: bequemer – aus, da hier oft doch eine Frau den scheinbaren und auch real existierenden Sachzwängen aus Freiberuflichkeit und dem sogenannten richtigen Zeitpunkt für die Karriere des Mannes erliegt. (Die Verteilung der Geschlechterrollen im Fotojournalismus wäre neben diesem Thema der Altersdiskriminierung durchaus auch mal eine Vertiefung wert.)

Dass der Fotografie-Markt Neuigkeiten sucht, ist seine Aufgabe, aber dass unter dem Label “Talentförderung” gute FotografInnen, die das magische Alter von 35 überschritten haben, ständig ausgegrenzt werden, könnte auch dem Markt geschuldet sein, der ja, wie wir wissen, im Kern auf Ausbeutung beruht. Begriffe wie “Junge Fotografie” und “Talentförderung” kaschieren das gekonnt.

On the record: ich bin weder gegen die Förderung junger FotografInnen noch will ich verschweigen, dass man als Fotograf über 35 Jahre vielleicht auch manchmal fotografische Aufgaben übertragen bekommt, die man in jüngeren Jahren so nicht bekommen hätte – vielleicht auch nicht so gut bewältigt hätte. Aber ich finde den Begriff  “junge Fotografie” unnötig und auch altersdiskriminierend, da das eine gleichzeitig auch “alte Fotografie” mit impliziert. Und wie wir wissen ist “alt” in unserer jugendwahnhaftigen Gesellschaft nur im Kontext von Parmesan oder Rotwein ein Kompliment.

  • Mich würde interessieren, wie das andere KollegInnen sehen und was diese in ihrem Alltag erleben. Schickt mir doch eure Erfahrungen und Erlebnisse. Ich würde diese nach Rücksprache (gerne auch anonymisiert) hier veröffentlichen. Einfach E-Mail mit dem Betreff “Live hard, die young” an folgende E-Mail Adresse schicken: letter(ät)andreasherzau.de

Das Bild von Henri Cartier-Bresson ist von John Loengard aufgenommen worden.

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