Me, Myself & iPolaroid

Es ist wunderbar: die Dinge verführen mich wieder, sie sprechen wieder mit mir: Fotografiere mich. Manchmal betteln sie auch: bitte! Mach schon! Mache ein Bild von mir. Hin und wieder rufen die Dinge mir sogar hinterher – nicht laut, nicht energisch – es ist eher ein Raunen, ein vorsichtiges In-Erinnerung-Rufen:  Fotografieren ! ?

Nach zwanzig Jahren des Nachdenkens über Fotografie, des Machens von Bildern im Auftrag oder aus freien Stücken ist diese Art der Verführung ein Segen – ein zweiter Frühling. Vielleicht braucht diese Bilder niemand, aber es ist einfach zu schön, diese zu machen. Ich empfinde nach langer Zeit wieder die Neugierde, die Befriedigung und die spielerische Begeisterung, die mich weg vom Text und hin zum Bild getrieben hat: das Erliegen der Form, der Schönheit, dem Interessanten: Fotografie !

Wenn ich reise – und ich reise viel – mit meiner kleinen iPolaroid-Kamera, habe ich nicht mehr das Gefühl Bilder von etwas zu machen, sondern etwas macht mich zum Fotografen. Ich kann nicht anders und will es auch nicht anders, denn diese Art der direkten und von großartiger, allgemein gültiger Aussage befreiten Bilder, geben mir die Möglichkeit einem persönlichen Gefühl eine Form zu geben und andere Betrachter vielleicht damit zu berühren: Fotografie!

Das Fotografieren mit einem smarten Phon ist für mich im Moment die am weitest gehende Simulation der Idee, allein mit den Augen Fotografieren zu können. Damit ist weniger die direkte technische Umsetzung dieser Vision gemeint, sondern das ungebremste, ungefilterte Machen. Zwanzig Jahre Sehschule im professionellen Dauerbetrieb erlauben mir heute in einem Autopilot-Modus zu agieren und das vorauseilende Reflektieren, Nachdenken und Zweifeln, abzuschalten. An guten Tagen ist es die schiere Intuition, die mich leitet und gestalten lässt: Fotografieren !

Es ist natürlich Quatsch anzunehmen, dass dies alles nur ein Verdienst des fotografierenden Smartphones ist, doch die ständige Möglichkeit zu fotografieren, die technische Unzulänglichkeit (geringe Auflösung), die für mich neue Festlegung auf ein quadratisches Bildformat (an Stelle eines Bildformates von 3:2), ist ein wesentlicher Faktor für meine Begeisterung. Die Verwendung einer Applikation, die die Bilddaten zu einem imitierten Polaroid machen, tut ihr übriges.
Ich liebe die Abstraktion. Ich brauche heute nicht mehr die Realität der Farben, die Zeichnung in den Schatten. Auf diese Weise hält auch die Unzulänglichkeit des Lebens wieder Einzug in meine Fotografie. Diesen Bildern ist eine Flüchtigkeit und Zufälligkeit inne, die diese sowohl verdienen, als auch die, die nötig ist, um Gefühle auszudrücken: Fotografieren !

Suchte ich ein Pendant zu diesen so entstandenen Bildern, so wären diese Bilder am ehesten mit Tönen, kurzen Melodien zu vergleichen. Sounds. Fast so direkt, wie die Geräusche, die einem beim Reisen unmittelbar ins Ohr dringen, so dringen diese „Visuellen Töne“ zu mir. Dabei blende ich die tatsächlichen Geräusche in der Regel durch einen Kopfhörer aus, in dem ein speziell ausgewählter Track für die jeweilige Reise zu hören ist. Wenn dann auch noch die Sonne für (Gegen)Licht sorgt, dann gleite ich in einen neuen Aggregatzustand. Es ist so die für mich intensivste Konzentration auf das Visuelle: Fotografieren !

Meine Leichtigkeit beim Fotografieren wird auch beflügelt, weil fast niemand merkt, dass ich fotografiere. Ich stehe im vollgepackten Bus zum Flughafen, Kopfhörer auf den Ohren und fummele an meinem Smartphone rum. Keiner der dicht bei dicht stehenden Passagiere kommt auf die Idee, dass ich die ganze Zeit fotografiere. Ich bin als Fotograf unsichtbar und lautlos – smart. Viele dieser so erschlichenen Bilder werden nie öffentlich, aber sie gehören eben zu meiner Materialsammlung und der ewigen Suche nach dem wie, warum, wieso meiner Fotografie. Nichts ist lehrreicher als das simple Machen von Bildern. Ein Fotograf muss in erster Linie: Fotografieren !

Zu alle dem wirkt in mir auch das Verlangen, einfach zu schauen, wie die Dinge, die mich verführten, schlussendlich fotografiert aussehen. Und,  ja, es ist dieses schnell mögliche Erfolgserlebnis, welches mich süchtig macht nach dieser Art des Fotografierens. Es ist so zeitgemäß wie es auch retro ist, wenn sich mit dem für alte Polaroidkameras typischen „Rrrraaatsch“ eine milchige Oberfläche auf dem Display abzeichnet, welche sich dann langsam zu einem Bild „entwickelt“. Nach zehn Sekunden voller Spannung ist das Ergebnis da: digital. Vermutlich ist es auch mein bubenhafter Spieltrieb der mich so leidenschaftlich werden lässt. Aber letztlich ist es auch egal ob nun das Telefon oder das Professionalität heischende Kameragehäuse meine Leidenschaft erhält. Wichtig ist und bleibt für mich: Fotografieren !

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