Willkommen im Jahr 2021 ! Ich bin noch da – und ihr hoffentlich alle auch. Hoffentlich ist vermutlich das Wort der Stunde im neuen Jahr. Alle hoffen. Aber auf was ? Offene Buchläden, Konzert-, Kino-, Theaterbesuche, Partys, Ausstellungsrundgänge … ? Dass alles wieder so ist wie vorher? Also vor der Pandemie: Unbeschwertes Leben im Kapitalismus, Arme die ärmer werden, Reiche die reicher werden, Warenproduktion und Warenvernichtung, Ausbeutung, Gier.
Ich hoffe nicht. In den letzten Monaten konnten wir viel lernen. Etwa wie es um unser Gesundheitssystem bestellt ist, wie das Schweinekotelett auf unseren Teller kommt, dass Urlaub im eigenen Land auch schön sein muss – Punkt, Punkt, Punkt. Anhand der wirtschaftlichen Rettungsversuche des Staates konnten wir auch lernen, was dieser für wichtig hält und was nicht. Viel Überraschendes ergab sich dabei allerdings nicht. Wichtig sind: die Autoindustrie (fünf Milliarden), die Lufthansa (mehr als fünf Milliarden) und der Konsum (Mehrwertsteuersenkung), Punkt, Punkt, Punkt. Der Rest erscheint als nicht ganz so wichtig.
Und wie kost-bar ist die Kultur, ohne die es ja bekanntlich dunkel und still wird? Eine Milliarde versprach Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Das klingt gut, relativiert sich aber im Vergleich deutlich: Die Bruttowertschöpfung für den Kulturbereich in Deutschland lag 2018 bei 103 Milliarden. Für den Bereich der Automobilindustrie lag diese im gleichen Zeitraum bei 105 Milliarden. In Coronahilfsgeldern für das Jahr 2020 ausgedrückt: 1 Milliarde (Kultur) gegenüber 5 Milliarden (Autoindustrie). Noch Fragen?
Ja. Es gibt Fragen. Zum Beispiel: Warum ist die Diskrepanz bei den Hilfsgeldern bei fast gleicher Bruttowertschöpfung so groß? Ein Grund mag darin liegen, dass die Lobbyarbeit im Kultursektor nicht so ausgeprägt ist, wie bei der Automobilindustrie. In der Lobby des Bundestages lungern nur selten Musiker*innen, Künstler*innen, Galerist*innen herum. Ein anderer Grund ist die relativ hohe Vereinzelung der auf Individualität getrimmten Kulturschaffenden, denen beigebracht wurde, dass jede und jeder für sich selbst zu kämpfen hat. Seit April 2020 hat dieser Zustand der Vereinzelung auch einen Namen: Solo – selbst – ständig. Klingt scheiße und ist vermutlich auch so gemeint. Eben ein deutscher Begriff. Fehlt nur noch das Wörtchen “Schuld”. Während in vielen anderen Bereichen das Kind beim Namen genannt wird, wie z.B. Krankenschwestern, Ärzt*innen, Beschäftigte in der Automobilindustrie, Friseur*innen etc. bleiben die Berufsbezeichnungen im Kulturbereich meist nebulös. Statt von Maler*innen, Musiker*innen, Fotograf*innen etc. zu sprechen, hat sich irgendein der/die Bürokratenheinzi das Wort “Soloselbstständige” ausgedacht. Ein Wort das Viktor Klemperer sofort in sein “Lingua Tertii Imperii” mitaufgenommen hätte. Man könnte auch sagen, “Soloselbstständige/r”ist keine Bezeichnung für eine Berufsgruppe, sondern eine Diagnose.
Vielleicht trifft uns auch tatsächlich ein wenig selbst Schuld, wenn wir Künstler*innen im Wettrennen um die nächste Corona-Milliarde ins Hintertreffen gekommen sind. All diese neuen Formen der Präsenation von Kunst, Musik, Theater etc. mit Streamings, virtuellen Ausstellungen, virtuellen Kunstmessen signalisieren ja auch, wir haben oder finden gerade wieder eine höchst individuelle Lösung für unsere Misere. Das blöde dabei ist, es ist keine Lösung. Es mag interessant sein, neue technische Möglichkeiten auszuprobieren und diese mit ins Portfolio aufzunehmen. Aber diese digitalen und auf Vereinzelung ausgerichteten Methoden der Vermittlung von Kunst und Kultur sind mitnichten ein Ersatz für einen gesellschaftlichen, intellektuellen und persönlichen Austausch über Bilder, Töne, Haptik, Atmosphäre, Inhalte, eben all dem was Kultur im Livebetrieb so ausmacht. Man dachte auf diese Weise könnten die Künste sichtbar bleiben, präsent, aber das gelingt nur bedingt. Die momentanen Ersatzhandlungen im Kulturbereich gerinnen zu der Aussage, ist doch alles nicht so schlimm und wie schon so oft finden wir irgendeine Lösung.
Natürlich ist es sehr schwierig eine so inhomogene Gruppe wie Künstler*innen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und gemeinsame Forderungen zu stellen, die die Daseinsberechtigung von Künstler*innen nicht nur postuliert, sondern auch manifestiert. Stichworte in diesem Zusammenhang wären: eine Arbeitslosen Versicherung für Künstler*innen (und natürlich für all die anderen Soloselbstständigen), Rentenversicherungen etc. Zu Ende gedacht wäre die Lösung eine Bürger*innenversicherung, mit der jede und jeder kranken-, renten- und arbeitslosenversichert wäre.
Kunst hat immer so ein Nachtisch Dasein: wenn man schon satt ist, oder sich die Creme Brulee nicht leisten kann, dann läst man diese einfach weg. Ich frage mich allerdings, – wenn schon die Menschheit scheinbar durch den Virus bedroht scheint – warum ausgerechnet Autos weiterhin verkauft werden müssen – mit staatlichen Subventionen. Bei Kunst und Kultur wird hingegen einfach der Stecker gezogen.
Insofern kann ich dieses “hoffentlich wird alles wieder wie früher” nicht mehr hören, denn früher war noch nie alles besser. Es muss sich in der Kultur wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft etwas ändern. Das hat uns diese Pandemie gelehrt. Zurück zur normalen Prä-Corona-Zeit wäre zu kurz gesprungen.
In Anlehnung an Martin Kippenberger könnte man auch sagen: “In Deutschland ist das Bier kalt und gelb, wie es mit der Kultur aussieht wissen Sie ja”.